Leitartikel von Reinhard Zweigler
Presseschau – Regensburg (BY) – Vor zehn Jahren traten die Hartz-Reformen in Kraft. Peter Hartz will heute nicht mehr mit der nach ihm benannten und maßgeblich erdachten Sozialreform in Verbindung gebracht werden. Im Sommer 2002 war der einstige Personalvorstand des Volkswagen-Konzerns und Kanzler-Freund noch der große Star.
Mit einem 241-PS-Golf kreuzte Hartz vor dem Französischen Dom auf, in dem er dem Kanzler eine Diskette mit dem Konzept weitreichender Sozialreformen übergab. Es lag Aufbruchstimmung in der Luft. Ein Aufbruch war auch dringend nötig. Der deutsche Arbeitsmarkt war verkrustet – und noch schlimmer – die Arbeitslosenzahlen stiegen dramatisch auf über vier Millionen an. Der 1998 gewählte Kanzler Gerhard Schröder drohte mit seinem Wahlversprechen, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, krachend zu scheitern.
Die flotten Reformen von Hartz waren dann auch so etwas wie Wahlkampfmunition gegen den nach vorn marschierenden Unions-Kandidaten Edmund Stoiber. Dass es dann bei der Bundestagswahl im Herbst 2002 hachdünn für Schröder reichte und Stoiber in München bleiben musste, hatte wohl weniger mit Schröders „Agenda 2010“ zu tun, sondern eher mit dem Hochwasser in Ostdeutschland, dass den SPD-Kanzler in letzter Minute zum Wahlsieg spülte. Das freilich ist längst Geschichte. Ebenso wie der schmachvolle Abgang von Peter Hartz, der wegen Untreue verurteilt wurde, weil er den VW-Betriebsratschef schmierte und Prostituierte für Vorstandsmitglieder aus der Firmenkasse bezahlen ließ.
Sehr schmuddelig das Ganze.
Als Katastrophe bezeichnen auch zehn Jahre später die Hartz-Reformkritiker von damals die einschneidende Sozialreform. Die Hartz-Befürworter halten sie dagegen nach wie vor für einen Segen. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte, ist an beidem etwas dran. Einerseits haben die Hartz-Gesetze zu einer kleinen Revolution auf dem Arbeitsmarkt geführt. Neben der Zusammenlegung von bisheriger Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum jetzigen Arbeitslosengeld II, dem Kern von Hartz IV, wurden auch Leiharbeit (Hartz I) erleichtert sowie Minijobs (Hartz II) geschaffen.
Zudem wurde die pomadige Bundesanstalt für Arbeit gründlich umgekrempelt zur heutigen Agentur für Arbeit. Arbeitsämter wurden neudeutsch zu Jobcentern umgemodelt. Wichtiger als die neuen Namen war jedoch, dass der Druck auf Arbeitslose kräftig erhöht und die Vermittlung verbessert wurde. Es mussten auch Jobs unterhalb der eigenen Qualifikation und unterhalb geltender Tarife angenommen werden. Vermögen und mögliche sonstige Einkommen wurden, wie bei der Sozialhilfe, angerechnet. Wer sich den Auflagen verweigerte, dem wurde „Hartz IV“ gekürzt oder sogar ganz gestrichen.
Es entstand ein großer Niedriglohnsektor im Hochlohnland Deutschland. Man kann die rigiden Regelungen als Bestrafung, als Entwürdigung von Arbeitslosen – und ihren Familien – werten, wie Hartz das im Nachhinein tut. Auf der anderen Seite ist der Arbeitsmarkt kräftig in Bewegung gekommen. Die Arbeitslosigkeit hat sich halbiert, was allerdings mehr mit der anziehenden Konjunktur als mit den Hartz-Reformen zu tun hat. Sozusagen als späte Korrektur wird nun am 1. Januar 2015, zehn Jahre nach Hartz IV, der bundesweite Mindestlohn eingeführt, der die Auswüchse nach unten abmildern soll. Auch die politische Landschaft hat sich seit der Hartz-Reform verändert.
Aus Gewerkschafter-Protesten entwickelte sich die WASG, die 2007 mit der PDS zur Linken fusionierte. Die fundamentale Ablehnung von Hartz IV ist bis heute eine der Quellen für den Wählerzuspruch für die Links-Partei.
OTS: Mittelbayerische Zeitung